Wo die Sterne uns kleiner machen – Eine Nacht auf der Melchsee-Frutt
- Jaroslav Barbic

- 27. Apr.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. Sept.

25 Februar 2024. Mateusz und ich machen uns auf zu einer kurzen, aber intensiven Skitour. Der Startpunkt liegt auf dem Hochplateau der Melchsee-Frutt. Die Route zieht sich entlang der Bergflanke, hoch bis zur Abgschütz-Schutzhütte. Der Schnee ist tief, schwer zu spuren. Jeder Schritt kostet Kraft. Dazu kommt die volle Winterausrüstung – Schlafsäcke, Isomatten, Essen, alles für eine Nacht draußen im Schnee.
Der Mond steht hoch am Himmel und leuchtet uns den Weg. Die Stirnlampen bleiben ausgeschaltet. Das Licht reicht, um die Bergkonturen zu erkennen. Oben angekommen beginnen wir, eine Mulde auszuheben. Für ein richtiges Iglu reicht der Schnee nicht – zu locker. Aber das Graben wärmt auf, bevor wir uns in die Schlafsäcke verkriechen. Der Wind zieht auf. Die Temperaturen sinken deutlich.
Wir trinken noch ein Bier und einen Schluck Cognac gegen die Kälte, dann legen wir uns schlafen.
Über uns ein Sternenhimmel, wie man ihn nur fernab der Zivilisation sieht. Die Milchstraße zieht sich quer über den Himmel. Wir sprechen darüber, wie die schiere Größe des Universums uns kleiner macht. Wie unsere Sorgen in dieser Weite bedeutungslos erscheinen. Wer in einer Nacht wie dieser unter freiem Himmel liegt, auf der Melchsee-Frutt, spürt schnell: Manche Perspektiven ändern sich nicht durch Worte, sondern durch Erfahrung. Manchmal braucht es genau solche Nächte: raus aus der Komfortzone, rein in die Elemente, um sich selbst wieder zurechtzurücken. Kälte, Müdigkeit, Anstrengung – all das relativiert das eigene Dasein und schärft den Blick auf das Wesentliche. Wer sich nie an seine Grenzen bringt, verliert leicht das Gespür dafür, was im Leben wirklich zählt. Es ist keine Flucht. Es ist eine Erinnerung. Eine Aufforderung, sich nicht selbst zu wichtig zu nehmen und trotzdem Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Selbstreflexion entsteht selten im warmen Wohnzimmer. Meistens passiert sie draußen, im Wind, in der Stille, unter einem Himmel, der nicht fragt, ob du heute zufrieden bist. Irgendwann schläft Mateusz ein. Dem Schnarchen nach zu urteilen, ziemlich tief. Ich selbst kämpfe. Der Wind wirbelt ständig neuen Schnee in mein Gesicht. Ich liege halb wach, halb schlafend, friere mir den Arsch ab, weigere mich aber zunächst, nachzugeben. Doch irgendwann fährt die Kälte so tief in die Knochen, dass klar ist: es reicht. Ich wecke Mateusz, mit schlechtem Gewissen. Zehn Meter entfernt steht die Hütte – ein Luxus, wenn man ihn zulässt. Wir ziehen um, schleppen unsere Sachen hinein und schlafen dort weiter.
Normalerweise wacht man am Berg früh auf, um weiterzuziehen. Doch an diesem Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen durch die staubigen Fenster brechen, bleibt der Schlafsack einfach zu verlockend warm. Wir lassen es gut sein. Kein Drang, keine Eile.
Das Frühstück wird zum Höhepunkt der Tour. Wie so oft habe ich beim Packen an alles gedacht – außer ans Essen.
Mateusz, Weihnachtsmann in Tarnkleidung, packt aus: Berner Würste mit Käsefüllung, frisches Brot, Hering in Tomatensauce, dazu heißer Tee. In der Kälte und der dünnen Höhenluft schmeckt alles besser. Das einfachste Essen wird zu einem Fest. Wir räumen auf, packen unseren Müll ein. Beim Spaziergang um die Hütte sehen wir, was wir in der Nacht nur gehört hatten: Eine Lawine, nicht weit von unserem Schlafplatz entfernt. Glück gehabt. Beim Aufstieg war noch alles stabil. Die Abfahrt hinunter zur Stöckalp ist purer Genuss. Pulverschnee, freies Gelände, keine Menschen weit und breit. Das Gefühl von Freiheit auf Ski – schwer zu beschreiben, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Kein Lärm, kein Stress. Nur der eigene Atem, das Knirschen des Schnees und der weite Blick über die Berge.
Was bleibt
Mondlicht ersetzt die Stirnlampe – aber nicht die Kälte.
Im Schneesturm bringt auch die beste Stirnlampe nichts – sie blendet mehr, als sie hilft.
Die meisten unserer Probleme sind kleiner als sie scheinen – die Konsequenzen oft weniger dramatisch als gedacht.
Lieber ein Brot zu viel einpacken als ein Paar Socken zu wenig.
Bei Vollmond und offenem Biwakieren scheint einem das Licht direkt in die Fresse.































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